Die Entwicklung der Neuraltherapie durch die Brüder Ferdinand und Walter Huneke geht letztlich zurück auf einen ärztlichen Kunstfehler. Auf Anraten eines erfahrenen Kollegen spritzte Ferdinand Huneke seiner Schwester Katha, die seit Jahren an heftiger Migräne litt und die schon von ihren Brüdern mit allen erdenklichen Mitteln behandelt worden war, in einem akuten Migräneanfall das Rheumamittel Atophanyl intravenös ein. Schlagartig beendete (kupierte) er damit den Anfall mit sämtlichen Beschwerden. Auf der Suche nach einer Erklärung für diesen Heilerfolg stellte er fest, daß das verwendete Medikament unter anderem Procain, ein Lokalanästhetikum, enthielt. Nach der damaligen Lehrmeinung war es unverantwortlich, ein solches Mittel intravenös zu spritzen, weil dadurch angeblich eine Gehirnlähmung bewirkt wurde! Durch weitere Behandlungserfolge bei anderen Patienten kam Huneke zu dem Schluß, dass es wohl gerade dieses Procain sein mußte, das diese überraschenden Erfolge ausgelöst hatte.
Im Jahr 1928 veröffentlichten die Brüder Huneke eine gemeinsame Arbeit über “Unbekannte Fernwirkungen der Lokalanästhesie”. Sie berichteten über Heilerfolge bei der Behandlung von Schmerzzuständen im segmentalen Bereich und wiesen dabei bereits auf die Wichtigkeit des richtigen Injektionsortes hin. Bald erkannten sie, dass bei der Anwendung von Procain bis dahin unbekannte, reflexartige Reaktionen über die HEADschen Zonen ablaufen. Zur anfangs praktizierten intravenösen Injektion entdeckten sie, dass auch paravenöse oder intramuskuläre Injektionen wirksam waren. M. KIBLER schlug für diese Therapie den Namen “Segmenttherapie mit Lokalanästhetika” vor.
Die Neuraltherapie nach HUNEKE ist als Regulationstherapie eine Ganzheitstherapie. Der richtig mit Neuraltherapeutika gesetzte Heilreiz wird vom Gesamtvegetativum beantwortet, auf dessen Bahnen die Wege zur Krankheit und Heilung verlaufen. In der Neuraltherapie nach Huneke kennen wir drei Möglichkeiten der segmentalen Beeinflussung:
1.) Injektion unmittelbar an die Stelle des Schmerzempfindens: bei schmerzhaften Störungen im Bereich der Muskeln, Bänder, Sehnen, Knochen, Gelenke oder Nerven ist die gezielte Procain- oder Lidocaininjektion genauso wirksam wie bei Prellungen, Hämatomen, Schürfungen, Narbenschmerzen und traumatischen Schädigungen aller Art. Am häufigsten wird hier die Quaddeltherapie angewendet.
2.) Die Einflußnahme auf schmerzhafte Gebiete über das entsprechende Körpersegment ist mit paravertebralen Procain- oder Lidocain-Injektionen möglich.
3.) Procain- oder Lidocainbehandlung des Sympathikus-Grenzstranges und seiner Ganglien
Tritt bei der Segmenttherapie keine wesentliche Besserung der Beschwerden ein, dann muß man an ein Störfeld denken. Ferdinand Huneke beobachtete 1940 das erste “Sekundenphänomen”. Er zog daraus den therapeutisch wichtigen Schluß, dass nervale Reizzustände oder “Störfelder” außerhalb jeder segmentalen Ordnung die verschiedensten Krankheiten auslösen und unterhalten können (z.B. Unfall- oder Operationsnarben). Dabei kann jede Stelle des Körpers zum Störfeld werden, und jede chronische Krankheit kann störfeldbedingt sein. Die bei Bedarf wiederholte Procain- oder Lidocain-Injektion an das schuldige Störfeld heilt die störfeldbedingte Krankheit, soweit das anatomisch noch möglich ist.
|